Wie Kinder in der frühesten Kindheit am besten lernen: Der Unterschied zwischen Lernen aus erster und zweiter Hand
- Fernando Rueda
- 26. Feb.
- 3 Min. Lesezeit
Kinder lernen von Geburt an, doch die Art und Weise, wie sie Wissen erwerben, unterscheidet sich grundlegend. Gerd E. Schäfer betont, dass Kinder in den ersten Lebensjahren vor allem durch eigene Erfahrungen lernen – das sogenannte Lernen aus erster Hand. Im Gegensatz dazu steht das Lernen aus zweiter Hand, bei dem Wissen vermittelt wird, ohne dass das Kind es selbst erlebt. Diese beiden Lernformen haben tiefgreifende neurobiologische Unterschiede und beeinflussen die Entwicklung von Kindern nachhaltig.
Lernen aus erster Hand: Erfahrungen als Grundlage des Wissens
Lernen aus erster Hand ist ein aktiver, selbstgesteuerter Prozess. Kinder erleben die Welt durch eigene Handlungen, Sinneseindrücke und Interaktionen mit ihrer Umgebung. Laut Schäfer (2012) sind diese Erfahrungen nicht isolierte Einheiten, sondern eingebettet in Erfahrungsketten und -muster. Wiederholungen und Ritualisierungen helfen dabei, diese Muster zu festigen, wodurch sich nach und nach abstrakte Denkstrukturen herausbilden.
Neurobiologisch betrachtet spielt dabei das implizite Gedächtnis eine entscheidende Rolle. Es speichert sensorische und emotionale Erfahrungen unbewusst ab und bildet die Grundlage für zukünftiges Lernen. Das bedeutet: Ein Kleinkind lernt, indem es aktiv mit Materialien experimentiert, Bewegungen wiederholt und durch Versuch und Irrtum eigene Lösungen findet. Dieses autonome Lernen ist tief im Gehirn verankert und bildet eine stabile Grundlage für komplexe Fähigkeiten, wie beispielsweise die Sprachentwicklung.
Lernen aus zweiter Hand: Wissen durch Vermittlung
Im Gegensatz dazu steht das Lernen aus zweiter Hand, bei dem Informationen gezielt vermittelt werden. Hierbei spielt das explizite Gedächtnis eine zentrale Rolle. Es verarbeitet bewusst aufgenommene Informationen, speichert sie sprachlich und ermöglicht ein rationales Verständnis von Zusammenhängen.
Kinder, die aus zweiter Hand lernen, erhalten Wissen oft in abstrakter Form, beispielsweise durch Erklärungen oder Lehrmaterialien. Während dies für ältere Kinder und Erwachsene eine effiziente Form des Lernens darstellt, zeigt sich bei Kleinkindern, dass reine Wissensvermittlung ohne eigene Erfahrung oft nicht nachhaltig ist. Erst wenn Kinder das Gelernte mit eigenen Erlebnissen verknüpfen können, wird es sinnvoll für sie und bleibt langfristig im Gedächtnis.
Die Bedeutung einer vorbereiteten Umgebung für autonomes Lernen
Damit Kinder möglichst viele Erfahrungen aus erster Hand sammeln können, ist eine gut vorbereitete Umgebung entscheidend. Wie Schäfer (2012) beschreibt, sollten Materialien und Räume so gestaltet sein, dass sie zum Entdecken und Experimentieren einladen. Das bedeutet:
Freier Zugang zu Materialien, die verschiedene Sinne ansprechen und kreatives Handeln ermöglichen.
Vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten, die eigenständiges Forschen und Spielen unterstützen.
Verlässliche Strukturen und Wiederholungen, die Kindern Sicherheit bieten und das Lernen in Mustern ermöglichen.
Eine wertschätzende Begleitung durch Bezugspersonen, die nicht dirigierend eingreifen, sondern die Eigeninitiative der Kinder respektieren und bestärken.
Die Natur als optimale Lernumgebung
Eine besondere Rolle nimmt hierbei die Natur ein. Renz-Polster & Hütler (2019) sowie Raith & Lude (2014) zeigen, dass Kinder in naturnahen Umgebungen ihre Selbstständigkeit besonders intensiv entwickeln. Die Natur fordert eigenständiges Handeln heraus, regt alle Sinne an und bietet unendlich viele Möglichkeiten für autonomes Lernen. Kinder, die regelmäßig draußen spielen, entwickeln nicht nur eine bessere motorische und kognitive Stabilität, sondern profitieren auch sozial und emotional.
Fazit: Erfahrung ist der Schlüssel zum Lernen
Frühes Lernen geschieht am nachhaltigsten durch eigene Erlebnisse. Während Lernen aus zweiter Hand im späteren Alter eine wichtige Rolle spielt, sind die ersten Jahre entscheidend geprägt durch Erfahrungen aus erster Hand. Die Herausforderung für Eltern und Pädagogen besteht darin, eine Umgebung zu schaffen, die Kindern möglichst viele Gelegenheiten zum selbstbestimmten Erkunden bietet – sei es durch vorbereitete Innenräume oder durch die unerschöpflichen Möglichkeiten der Natur. Denn erst durch selbst erlebtes Wissen werden Kinder zu eigenständigen und kreativen Lernenden.
Literatur
Renz-Polster, H., & Hüther, G. (2019). Wie Kinder heute wachsen: Natur als Entwicklungsraum – Ein neuer Blick auf das kindliche Lernen, Fühlen und Denken. Beltz.
Raith, A., & Lude, A. (2014). Draußen spielt sich’s am besten: Naturerfahrung und Umweltbildung in der frühen Kindheit. Schneider Verlag Hohengehren.
Schäfer, G. E. (2012). Bildung beginnt mit der Geburt: Die Bedeutung früher Erfahrungen. Beltz.
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